Bislang hat der Pflegearbeitsmarkt in Deutschland im internationalen und europäischen Vergleich ein vergleichsweise niedriges Zuwanderungsniveau: Während in den der Anteil der im Ausland ausgebildeten Pflegefachkräfte im Jahr 2013 24,5 % (Neuseeland), 16,5 % (Australien) und 7,5 % (Kanada) betrug und die Schweiz und Großbritannien im europäischen Vergleich diesbezüglich an der Spitze standen (die Schweiz im Jahr 2012 mit 18,7 % und Großbritannien 2014 mit 12,7 %), hatten im Jahr 2010 nur 5,8 % der Pflegefachkräfte in Deutschland eine Ausbildung im Ausland absolviert (OECD 2015: 118). Dies hängt z. T. damit zusammen, dass Deutschland ab 2004 nach jeder Erweiterungsrunde der EU zunächst von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Arbeitnehmerfreizügigkeit auszusetzen und länger auf staatlich koordinierte und unterstützte Anwerbungsaktivitäten im Pflegebereich verzichtet hat. Gegenwärtig steht die Pflegebranche aber zunehmend unter Handlungsdruck, die bisherigen Fachkräftesicherungsstrategien um die Anwerbung aus dem Ausland zu ergänzen.
In der wissenschaftlichen Debatte wird eine zunehmende Migration von Pflegefachkräften damit begründet, dass:
- neoliberale Wirtschaftsreformen zu strukturellen Veränderungen in den Gesundheitssystemen der Ziel- und Herkunftsländer und einer Globalisierung der Pflegearbeitsmärkte geführt haben und die Pflegefachkräfte darüber hinaus die eigene berufliche und fachliche Entwicklung verstärkt im globalen Kontext verorten,
- eine Umgestaltung der politisch-rechtlichen Steuerung von Migration und damit ein Wandel der Arbeitsmigrationsregime in den Zielländern stattgefunden hat und
- internationale Arbeitsvermittlungen häufiger von professionellen Dienstleistern, Arbeitsmarktintermediären, gestaltet wird.
Die weltweite Migration von Pflegekräften hat eine lange Geschichte, wurde aber durch die laufenden primären Veränderungen sowohl in den Ziel- als auch in den Herkunftsländern grundlegend erweitert. Insbesondere in den USA, Kanada und Großbritannien ist die Anwerbung von Pflegepersonal aus dem Ausland seit einiger Zeit eine Möglichkeit, den Fachkräftemangel auszugleichen (Prescott/Nichter 2014, Britain/Henry 2013). Diese können sich über einen bestimmten Zeitraum wiederholen, da das Interesse an begabten Pflegekräften zunimmt, was im Moment nicht durch eine erweiterte Ausbildung oder andere politische Vermittlungen kontrolliert werden kann – oder sie können tiefer liegende Ursachen haben. Die letzte Option kann für einige Länder des globalen Nordens zum Ausdruck gebracht werden.
Sie begannen zunächst, die Produktivität der Ämter zu steigern, hatten aber häufig zur Folge, dass die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung des Pflegepersonals bröckelten und die Stabilität der Arbeitgeber abnahm. In der Folge verloren die Pflegeberufe an Attraktivität, und da zahlreiche westliche Nationen ihre Pflegeausbildung lange Zeit unterfinanziert hatten (Wrede 2012, Taylor et al. 2012, Yeates 2010), konnte für einige Aussteiger kein Ersatz gefunden werden. Die zugrundeliegenden Unregelmäßigkeiten bestehen auch heute noch, und in den betroffenen Ländern gibt es immer mehr Bestrebungen, sie durch Anwerbung aus dem Ausland auszugleichen.
Auch in vielen Herkunftsländern des Pflegepersonals wurden die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens seit den 1980er und 1990er Jahren in mehreren Wellen im Sinne neoliberaler Modelle verändert. Auslöser für die Veränderungen waren häufig politische und finanzielle Notlagen oder ein möglicher Bedarf an Modernisierung des Gesundheitssystems. Die Veränderungen wurden häufig von globalen Organisationen wie der Weltbank oder der Weltgesundheitsorganisation unterstützt oder vorangetrieben (Chorev 2013, Naval force et al. 2001).
Privatisierung der medizinischen Versorgung und Ersetzung umfassender Gesundheitstechniken durch spezifische und zuverlässige Interventionen, um den Nutzen der Gesundheitswirtschaft zu steigern (Abramovitz/Zelnick 2010). Obwohl die Veränderungen je nach Land unterschiedliche Arten und Ausmaße hatten (z. B. Fleet et al. 2001, Huber/Solt 2004 für Südamerika), gab es allgemeine Muster in Richtung Lohnkürzungen, Einstellungsstopps und Entlassungen im Gesundheitsbereich. Diese trugen zunehmend zur Abwanderung bei und werden im Großen und Ganzen für die verstärkte Abwanderung von Pflegepersonal verantwortlich gemacht (Aiken et al. 2004, Abramovitz/Zelnick 2010). Diese Fortschritte beschränken sich nicht nur auf die Länder des weltweiten Südens oder die europäischen Randgebiete im Osten, sondern umfassen auch andere Länder.
Es kommt zum Ausdruck, dass die geologische Richtung der Migration von Pflegefachkräften häufig mit allgemein entwickelten Verbindungen zwischen Nationen zusammenhängt. Die Wurzeln gehen häufig auf die Stunde des Kolonialismus und Imperialismus zurück (Choy 2003, Wrede 2012, Ball 2004, Yeates 2009, Bludau 2011, Britain/Henry 2013, Britain 2015, Reddy 201,5, Lutz/Palenga-Möllenbeck 2012) – Deutschland ist ein Sonderfall, der auch den späteren Beginn der Zuwanderung sinnvoll macht. In bestimmten Herkunftsländern haben sich regelrechte “ Produktionsindustrien für Krankenschwestern“ herausgebildet (Prescott/Nichter 2014, für Indien und die Philippinen siehe Yeates 2009, Choy 2003, Reddy 2015), insbesondere in den angelsächsischen Ländern USA, Kanada, Neuseeland, Australien und Großbritannien (OECD 215). Solche allgemein entwickelten Verbindungen und gemeinsamen Bedingungen sind häufig völlig stabil und von langer Dauer (Yeates 2010). Im Übrigen kann sich die Situation mit dem Herkunfts- oder Zielland kurzfristig ändern (Wrede 2012, Aiken et al. 2004), z. B. wenn finanzielle Kürzungen aufgrund finanzieller Notlagen zu Einschnitten im Gesundheitsrahmen führen (Dussault/Buchan 2014: 49).
Pflegeexperten in den Herkunftsländern reagieren ebenfalls schnell auf die veränderten Rahmenbedingungen für Arbeitsmigration in den Zielländern, z. B. staatliche Anwerbeabkommen oder neue offene Türen für die Anerkennung von Expertenfähigkeiten (Yeates 2010). Dies sollte z. B. für die Philippinen möglich sein. Als es für philippinische Krankenschwestern und -pfleger aufgrund einer geänderten Einwanderungspolitik in den USA kurzfristig schwieriger wurde, ein Arbeitsvisum zu erhalten, machten sie sich unter gleichen Voraussetzungen auf den Weg nach Singapur und Saudi-Arabien (Arends-Kuenning et al. 2015).
Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass Länder, in denen ein Fachkräftemangel herrscht, qualifizierte Krankenschwestern in anderen Ländern als einen Vorteil für die Gewinnung ihrer Fachkräfte ansehen, den sie durch eine Änderung des legalen Systems der Arbeitsmigration für sich nutzen können (Glinos 2015).
Die „weltweiten Pflegeketten“ (Ates 2009) sind in letzter Zeit deutlich heterogener geworden und haben sich erweitert (Yeates 2005, 2010). Die Folgen der Abwanderung für die eigenen gesundheitlichen Rahmenbedingungen und das Muster, dies durch Migration aus anderen Nationen auszugleichen, werden häufig beklagt (z. B. kompensiert Jamaika die Abwanderung einheimischer Krankenschwestern durch die Rekrutierung weiterer aus Nationen wie Burma, Kuba, Ghana, Indien und der Russischen Liga (Yeates 2010). In letzter Zeit gab es politische Bemühungen, diese negativen Folgen einzudämmen, insbesondere in den ärmsten Ländern (al. 2014), die unter anderem bestimmte Länder von Anwerbeprogrammen ausschließen.
Die Art und Weise, wie Krankenschwestern und Krankenpfleger ihre Arbeit auf globalisierten Arbeitsmärkten anbieten, ist nicht nur auf die unmittelbare Notwendigkeit zurückzuführen, eine Beschäftigung zu finden. Auslöser für die Migration kann auch die Sehnsucht nach fachlichen Fortschritten, Weiterbildungsmöglichkeiten und einem besseren Arbeits- und Alltagsumfeld sein (Yeates 2010, Kingma 2007, Aiken et al. 2004, Glinos et al. 2015). Mirelle Kingma (2007) berichtet, dass Krankenschwestern und -pfleger berufliche Stationen in verschiedenen Ländern nutzen, um Fähigkeiten oder Qualifikationen zu erwerben. Darüber hinaus ist die Migration in den meisten Fällen keine dauerhafte Entscheidung für Pflegekräfte, sondern stellt eine weitere berufliche Station in der globalen Karriereplanung dar (Glinos et al. 2015).
Die Migration von Pflegefachkräften findet im Rahmen eines allgemeinen Migrationsregimes statt. In den meisten Nationalstaaten werden Aufenthaltsrecht und Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt dabei sehr restriktiv gehandhabt. In jüngerer Zeit ist in vielen Ländern des globalen Nordens darüber hinaus eine Veränderung der politischen Steuerung zu beobachten, wonach Migration zunehmend nach dem Grundsatz des ökonomischen Nutzens reguliert wird. Entsprechend ändern diese Staaten ihre rechtlichen Rahmenbedingungen, um – bei insgesamt zunehmender Abschottung – „gewünschten“ Zielgruppen den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu erleichtern (z. B. Bach 2007 für die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Migration von Pflegefachkräften nach Großbritannien). Grundsätzlich existieren für eine solche Regulierung von Arbeitsmigration zwei Modelle (Kolb 2014):
- angebotsorientierte Steuerung der Migration über Instrumente, mit denen die Zielländer allgemeine Kriterien für den Zugang zu ihrem Arbeitsmarkt festlegen (vgl. Hinte et al. 2015 für die Punktesysteme in Kanada und Australien),
- arbeitskräftenachfragegesteuerte Gestaltung der (auch temporären) Migration über Indikatoren, die die Arbeitskräftebedarfe auf dem Arbeitsmarkt abbilden sollen (vgl. Groutsis et al. 2015).
Während Punktesysteme eher auf allgemeine „Potenziale“ von Zuwanderern (z. B. Alter, Qualifikationsniveau) zielen, wird bei der arbeitskräftenachfrageorientierten Gestaltung versucht, Zuwanderung kleinteilig entlang der Bedarfe der Wirtschaft zu lenken (van den Broek et al. 2016) und damit die Effizienz der eigenen Arbeitsmärkte zu steigern (Overbeek 2002, Castles 2011). Hierdurch soll Arbeitskräftemangel in verschiedenen Sektoren und auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus ausgeglichen und sichergestellt werden, dass die Unternehmen flexibel auf Schwankungen in der Arbeitskräftenachfrage reagieren können (Sporton 2013, Batnitzky/McDowell 2013).
Dies erlaubt den Ländern, die in der Care-Chain-Hierarchie weiter oben stehen, Pflegefachkräfte in verschiedenen Herkunftsländern als Arbeitskraftressource zu definieren und zu versuchen, diese für die eigene Fachkräftesicherung zu nutzen.
In Deutschland fand die Liberalisierung der Arbeitsmärkte später als in anderen Ländern des globalen Nordens statt (Coe et al. 2007), viele Elemente der Arbeitsmarkt- bzw. Migrationspolitik, die die Anbindung an globalisierte Arbeitsmärkte ermöglichen, wurden im Vergleich zu anderen Ländern erst spät eingeführt. Dennoch lautet das Urteil verschiedener Beobachter, dass Deutschland seit etwa 2000 – parallel zu einem allgemeinen Wandel von einer problemorientierten zu einer potenzialorientierten Integrationspolitik (Pütz/Rodatz 2013) – einen Wandel in Richtung arbeitsmarktorientierte Migrationspolitik vollzieht (Kannankulam 2013, Buckel 2012). So wurde die in den 1990er Jahren dominierende abschottungsorientierte Ausrichtung stufenweise durch das Paradigma des „Migrationsmanagements“ (Ratfisch 2015: 7, Georgi 2007: 5) ergänzt.
Dies beinhaltet eine umfassende und differenzierte Steuerung von Migrationsprozessen nach dem Grundsatz der Nützlichkeit der Migranten für die aufnehmende Gesellschaft (Kolb 2014, Georgi 2007: 99 f., Menz 2008). Dementsprechend wurden schrittweise Kriterien der Bildungs- und Berufsqualifikation in die Regulierung der Migration eingeführt und die Zuwanderungsmöglichkeiten von Hochqualifizierten erweitert (Ette et al. 2012).
In der Tradition der Green Card, die für die IT-Fachkräfte konzipiert wurde und die als der Anfang des fundamentalen Wandels in der deutschen Arbeitsmigrationspolitik gilt, schuf die stärkere Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes durch die Zuwanderungs- und Aufenthaltsgesetze von 2005 vor allem Chancen für Hochqualifizierte (Ette et al. 2012, Kolb 2014). Erst später gerieten auch die Ausbildungsberufe, zu denen die Pflegeberufe gehören, ins Blickfeld der öffentlichen Fachkräftemangeldiskurse. So wurde im Jahr 2011 im Fachkräftesicherungskonzept der Bundesregierung festgehalten, dass in den Engpassberufen die qualifizierte Zuwanderung als eine wichtige Fachkräftesicherungsstrategie anzusehen ist (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011). Das ab dem 1. April 2012 geltende „Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen“ (Anerkennungsgesetz) ermöglichte außerdem den Rechtsanspruch für die Prüfung von Berufsqualifikationen, die in den Drittstaaten erworben wurden und führte die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Ausgleichsmaßnahmen bei fehlender Gleichwertigkeit ein. Es gilt für die etwa 600 bundesrechtlich geregelten Berufe, darunter auch den der Gesundheits- und Krankenpfleger, der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger sowie der Altenpfleger.
Obwohl der rechtliche Rahmen festlegt, wer unter welchen Bedingungen Zugang zum Arbeitsmarkt des Ziellandes hat, ist die Anwendung dieser Grundlagen in der Praxis sehr komplex (Weiß 2010: 123) und es bestehen Hürden, deren Überwindung sowohl materielle (z. B. finanzielle Mittel) als auch immaterielle Ressourcen (z. B. Kontakte, Wissen) erfordert, und zwar sowohl seitens der Migranten als auch der an Zuwanderung interessierten Arbeitgeber (Bludau 2011: 99, Csedő 2008). Insbesondere die Arbeitgeber delegieren die komplexer gewordene, globale Suche nach Fachkräften deshalb immer häufiger an zumeist private Dienstleister, sogenannte Arbeitsmarktintermediäre (Benner 2002, 2003, Schwiter et al. 2014). Diese versuchen, die migrationsbereiten Arbeitskräfte mit Hilfe verschiedener Mechanismen an die Qualifikations- und Arbeitsmarktregime der Ankunftsländer „anzudocken“ (Groutsis et al. 2015, van den Broek et al. 2016) und gestalten damit maßgeblich die Prozesse auf globalisierten Arbeitsmärkten.
Als Arbeitsmarktintermediäre gelten zunächst einmal Organisationen, die das Matching von Arbeitskraftnachfrage und -angebot als Geschäftsmodell haben (Katzis 1998, Benner 2002, Autor 2009). Klassischerweise handelt es sich hierbei z. B. um Zeitarbeitsfirmen und Arbeitsvermittlungen (Bonet et al. 2013), hier ein namentliches Beispiel unser Unternehmen CareLend GmbH.
Forschungsarbeiten, die sich mit der Rolle von Arbeitsmarktintermediären in Migrationsprozessen beschäftigen, weisen auf die Vielfältigkeit ihrer Erscheinungsformen und Aktivitäten hin (Sporton 2013, Findlay et al. 2013, Beaverstock et al. 2010, Faulconbridge et al. 2008). Wegen der immer komplexer werdenden rechtlichen Regulierung von Migration (mit zahlreichen Sonderbestimmungen nach Branche oder Herkunftsland) ist es ihnen gelungen, sich als fester Bestandteil der Migrationsarrangements zu etablieren (Bludau 2010): Sie können die Arbeitsmärkte in den Herkunfts- und Zielländern miteinander verbinden, indem sie die Migranten mit erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen ausstatten und sie mit Informationen über den Arbeitsmarkt und das Lebensumfeld im Aufnahmeland versorgen (Groutsis et al. 2015, Coe et al. 2010, Sporton 2013). Gleichzeitig bauen sie Beziehungen zu den Arbeitgebern auf, um ihre Wünsche in Bezug auf Arbeitskräfte zu verstehen und im Vermittlungsprozess berücksichtigen zu können (Bludau 2010).
Die geschilderten Prozesse einer stärkeren wirtschaftspolitischen Orientierung der Migrationspolitik und Verlagerung der Gestaltung von Migrationsbewegungen an private Vermittler kann aus soziologischer Perspektive und in Anlehnung an marketization studies als ein Beispiel von „Vermarktlichung“ wesentlicher gesellschaftlicher Felder betrachtet werden, in diesem Falle des Feldes der Vermittlung von Pflegefachkräften. Arbeitsmarktintermediäre nehmen darin eine Schlüsselstellung ein, da sie – in der Terminologie von Çalışkan/Callon (2010: 8) (vgl. auch Callon/Muniesa 2005, Ouma 2015) – an der Konstruktion von Arbeitskräften als Produkte sowie an der Ermittlung ihres Marktwertes maßgeblich beteiligt sind und damit zur Etablierung eines Marktes der Vermittlung von Pflegefachkräften beitragen. „Vermarktlichung“ bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass Pflegefachkräfte entlang der Anforderungen für den Arbeitsmarkt- und Berufszugang und nach den Bedürfnissen der Arbeitgeber „vorbereitet“ werden, damit sie als „fertige“ Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt platziert werden können. Zu diesem Zweck findet nicht nur die „Objektivierung“ der Pflegefachkräfte im Sinne der Produktion von marktfähigen Arbeitskräften (vgl. Callon/Muniesa 2005) statt, sondern auch die „Subjektivierung“ als der Prozess des Migrant-Werdens im Kontext des globalen Arbeitsmarktes, der mit der Herausbildung eines spezifischen Bewusstseins seitens der potenziellen Migranten einhergeht. So beschreibt Heidi Bludau (2010, 2011), wie die Pflegefachkräfte schon in den Herkunftsländern dazu angehalten werden, sich im neuen Lebens- und Arbeitskontext vorzustellen und die vom Arbeitgeber erwartete Haltung einzunehmen.
Betriebliche Integration wird hierdurch in erheblichem Maße vorstrukturiert. Denn die Objektivierung und Subjektivierung werden im Anwerbungsprozess oft von verschiedenen Arbeitsmarktintermediären übernommen, die als „culture brokers“ agieren (Bludau 2015: 96 f., Moroşanu 2016: 359 ff.). In dieser Rolle sind sie während des Migrationsprozesses (und in manchen Fällen auch danach) zwischen den Arbeitskräften und dem Arbeitgeber positioniert und übernehmen die Kommunikation der Werte bzw. Vorstellungen zwischen den beiden (Bludau 2015). Damit beeinflussen sie sowohl die Vorbereitungen auf Migrationsprozesse als auch die soziale und betriebliche Integration nach der Migration.
Die Erkenntnisse der bisherigen Forschung zeigen, dass sich Pflegearbeitsmärkte zunehmend globalisieren. Arbeitgeber definieren Pflegefachkräfte in anderen Ländern als Ressource für ihre eigene Fachkräftesicherung, und Pflegefachkräfte verorten ihre Karrieremöglichkeiten zunehmend international. Diese Entwicklung wird in den Zielländern von arbeitsmarktorientierter rechtlicher Regulierung unterstützt, die bei erhöhter Nachfrage versucht, den Zugang zum einheimischen Pflegearbeitsmarkt für immer neue Zielgruppen aus dem Ausland zu öffnen. Durch die Anforderungen an die beruflichen Qualifikationen von Pflegefachkräften in den Zielländern bleibt deren Migration aber voraussetzungsvoll. In der Folge entstehen komplexe Migrationsarrangements, in denen die Pflegefachkräfte auf ihren Einsatz im Zielland vorbereitet werden und über verschiedene Mechanismen im Anwerbungsprozess gehalten werden.
Für ihre betriebliche Integration in Deutschland ergeben sich daraus folgende Rahmenbedingungen:
- Zunehmende Mobilität der Belegschaften: Die globalen Arbeitsmärkte bieten den Pflegefachkräften vielfältige Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt in einem anderen Land zu verdienen und ihre berufliche Entwicklung zu gestalten. Da Zielländer miteinander im globalen Wettbewerb um die Pflegefachkräfte stehen, kommt der Fachkräftebindung eine besondere Bedeutung zu.
- Zunehmende Komplexität der Migrationsarrangements: Trotz der Globalisierung der Pflegearbeitsmärkte bestehen für die Pflegefachkräfte (abhängig von ihrem Herkunftsland) erhebliche Hürden beim Arbeitsmarktzugang im Zielland und auch die Übertragbarkeit ihrer Qualifikationen und Kompetenzen bleibt voraussetzungsvoll. Die Vorbereitung der Pflegefachkräfte auf ihren Einsatz in Deutschland bleibt im Anwerbungsprozess verschiedenen Arbeitsmarktintermediären überlassen, die die Erwartungen der Arbeitgeber und Pflegefachkräfte prägen und die später den Hintergrund für die betriebliche Integration darstellen.
- Zunehmende Heterogenität der Belegschaften: Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Ausbildung der Pflegefachkräfte, die an das Berufsbild im jeweiligen nationalen Gesundheits- und Sozialsystem ausgerichtet ist. Außerdem bringen die Pflegefachkräfte Erfahrungen mit unterschiedlichen organisationalen und beruflichen Hierarchien in ihren Herkunftsländern mit. Dies bedeutet, dass in den Einrichtungen
- verschiedene berufliche Selbstverständnisse aufeinandertreffen, die Gegenstand von Auseinandersetzungen werden können.
Wie aus international vergleichenden Statistiken hervorgeht, ist Deutschland noch weit davon entfernt, als etabliertes Zielland der globalisierten Pflegefachkräftemigration zu gelten. Dennoch hat es in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme bei der Migration von Pflegefachkräften nach Deutschland gegeben. Nachfolgend wird gezeigt, wie der Arbeitsmarktzugang auf der Ebene der Einwanderung und Anerkennung von den im Ausland erworbenen Qualifikationen für die Gesundheits- und Pflegebranche reguliert ist und welche Unterschiede es zwischen den Herkunftskategorien „EU Mitgliedsstaat“ und „Drittstaat“ gibt.
Das Umdenken in Bezug auf qualifizierte Zuwanderung als Fachkräftesicherungsstrategie auch in Bezug auf die Pflegebranche fiel in die Zeit, in der die Wirtschaftskrise in Südeuropa ihre volle Wirkung entfaltete. Diese löste erhebliche Kürzungen in den Gesundheitswesen von Spanien, Portugal und Griechenland aus und führte zu Lohnkürzungen, Entlassungen oder Einstellungsstopps (Glinos et al. 2015, OECD 2015).
Besonders hart trafen die Kürzungen die jungen Pflegefachkräfte, die gerade ihr Studium absolviert oder sich beruflich noch nicht ausreichend etabliert hatten. Sie waren damit eher bereit, sich beruflich im Ausland zu orientieren und standen damit im Fokus der Anwerbeaktivitäten deutscher Organisationen.
Die Anwerbung von Südeuropäern für den Pflegearbeitsmarkt in Deutschland fand über staatliche Programme (z. B. MobiPro-EU von der Zentralen Arbeitsvermittlungsstelle (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit) bzw. durch kommerzielle Anbieter statt (Zentrale Arbeitsvermittlungsstelle 2014, Bundesagentur für Arbeit 2013). Der Arbeitsmarkteintritt der Pflegefachkräfte in Deutschland wurde durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die Arbeitskräftemobilität in der EU unterstützen sollten, erleichtert: Als EU-Bürger hatten sie in Deutschland Aufenthaltsrecht und erhielten laut der EU-Freizügigkeitsrichtlinie einen freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Außerdem sicherte die EU Berufsanerkennungslinie (Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union 2005), die am 20. Oktober 2005 in Kraft trat, die Gleichwertigkeit der Ausbildungsinhalte in den reglementierten Berufen wie Arzt/Ärztin, Zahnarzt/Zahnärztin und Pflegefachkraft. Somit erfolgte die Anerkennung der Qualifikationen aller EU-Bürger sowie für die Staatsangehörigen des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz schon etliche Jahre vor der Verabschiedung des Anerkennungsgesetzes. Zusätzlich zur Anerkennung von Berufsqualifikationen müssen für die Berufszulassung als Pflegefachkraft die Kenntnisse der deutschen Sprache auf B1 bzw. B2 Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens nachgewiesen werden.
Da für die EU-Bürger das Prinzip der Freizügigkeit gilt, stehen keine Daten für die Migration aus den EU-Staaten nach Deutschland zur Verfügung. Wie viele Personen aus den südlichen EU-Staaten infolge der Wirtschaftskrise aus ihren Heimatländern nach Deutschland gekommen sind, lässt sich lediglich anhand der Anerkennungsstatistik annähernd schätzen.
Die Statistiken zeigen eine Zunahme der eröffneten Anerkennungsverfahren für Bildungszertifikate aus allen vier südeuropäischen Ländern zwischen 2012 und 2015, wobei die mit Abstand meisten Anträge von Pflegefachkräften gestellt wurden, die ihre Ausbildung in Spanien absolviert hatten. Spanien steht für ein westeuropäisches Land, dessen Gesundheitssystem von der Finanzkrise schwer getroffen wurde (OECD 2015) und so hat die Anzahl der angestrebten Anerkennungsverfahren für Qualifikationen aus Spanien zwischen 2012–2014 um das 4,5-fache zugenommen.
Anzahl der Anerkennungsverfahren nach Ausbildungsstaat im Beruf Gesundheits und Krankenpfleger aus Südeuropa, 2012–2017.
Im Jahr 2015 jedoch ging die Anzahl der Krankenpflegekräfte, die ihre in Spanien erworbenen Qualifikationen anerkennen lassen wollten, um das Dreifache zurück und im Jahr 2016 haben lediglich 105 spanische Pflegefachkräfte die Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen beantragt. Im Jahr 2017 handelte es sich nur noch um 72 Personen.
Anzahl der Arbeitsgenehmigungen für rumänische und bulgarische Staatsbürger in den Berufen der Gesundheits und Krankenpflege sowie Altenpflege in Deutschland, 2011–2013.
Neben der Migration aus den von der Wirtschaftskrise betroffenen Ländern Südeuropas sind seit den 1990er Jahren viele Pflegefachkräfte aus den Ländern Ostmitteleuropas sowie Südosteuropas nach Deutschland gekommen. Diese Migrationsbewegungen wurden durch die transformationsbedingten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen befördert. Für die jüngere Migration aus den neuen EU-Beitrittsländern Rumänien, Bulgarien (2012) und Kroatien (2013) liegen Statistiken nur für die Übergangszeit vor, in der Deutschland seinen Arbeitsmarkt für diese Länder noch nicht geöffnet hatte.
Bei Anerkennungen aus den neueren EU-Beitrittsländern muss angemerkt werden, dass der Grundsatz der automatischen Anerkennung der Berufsqualifikationen nach der Berufsanerkennungsrichtlinie der EU auf Berufsabschlüsse zutrifft, die seit dem EU-Beitritt erworben wurden. Damit können die Auflagen für die Anerkennung der Berufsabschlüsse aus dem Ausland für die Angehörigen der neuen Beitrittsstaaten etwas höher ausfallen, weil sie eventuell Ausgleichsmaßnahmen wie Eignungsprüfung oder Anpassungslehrgängen unterliegen.
Die Anzahl der angestrebten Anerkennungsverfahren im Beruf Gesundheits- und Krankenpfleger gibt erste Anhaltspunkte dafür, dass die Arbeitsmigration von Pflegefachkräften aus den EU-Staaten nach Deutschland in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat.
Die 2014 stark angestiegene Zahl der Anträge aus Bosnien-Herzegowina ist mit dem Anwerbeabkommen zu erklären, das in diesem Jahr abgeschlossen wurde. Seitdem ist jedes Jahr ein deutlicher Anstieg in der Antragsstellung zu beobachten. War Bosnien-Herzegowina bis 2014 der einzige Drittstaat unter den fünf häufigsten Ausbildungsstaaten, sind 2015 Serbien, 2016 die Philippinen und 2017 Albanien in diese Gruppe aufgestiegen.
Im nächsten Abschnitt wird die Migration von Pflegefachkräften aus Drittstaaten näher betrachtet.
Die Migration von Pflegefachkräften aus den Drittstaaten wird deutlich stärker reguliert als die der EU-Bürger – sie unterliegt den Begrenzungen auf der Ebene der Einreise und des Aufenthaltes. Gleichzeitig bestehen Erleichterungen, die aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflegebranche eingeführt worden sind. Über § 18 der Beschäftigungsverordnung vom 1. Juli 2013 erhalten Pflegefachkräfte aus den Drittstaaten vereinfachten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, wenn:
- sie eine mindestens zweijährige Berufsausbildung vorweisen können, die zum deutschen Berufsabschluss gleichwertig ist,
- ihre Beschäftigungsbedingungen denen inländischer Pflegefachkräfte entsprechen,
- die zu besetzende Stelle in der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht ist oder die betreffende Person von der BA für Arbeit aufgrund einer Absprache mit der Arbeitsverwaltung des Herkunftslandes vermittelt wurde.
Letztere Absprachen bestehen seit 2013 mit Bosnien-Herzegowina, Serbien und den Philippinen. Zusätzlich wird gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Beschäftigungsverordnung verlangt, dass der Beruf auf der Positivliste der BA steht. Diese wird halbjährlich auf der Grundlage der Fachkräfteengpassanalyse erstellt und listet Berufe auf, in denen es einen Fachkräftemangel gibt und somit die Besetzung der Stellen mit ausländischen Bewerbern als „arbeitsmarkt- und integrationspolitisch verantwortbar“ gilt (Bundesagentur für Arbeit 2016: 19).
Zustimmungen für Drittstaatsangehörige nach ausgewählten beruflichen Tätigkeiten (KldB 2010) in Deutschland, 2011–2014
Die Steuerung der Arbeitsmigration über die Positivliste der BA reflektiert die hohe Priorität des Matchings in der deutschen Arbeitsmarktpolitik – die Bestrebung, Arbeitsangebot und nachfrage optimal aufeinander abzustimmen. In der aktuellen Liste der BA werden unter anderem die Berufe in der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Fachkrankenpflege aufgeführt.
Eine weitere Einschränkung des Arbeitsmarktzugangs erfahren Drittstaatsangehörige, deren Herkunftsland auf der Liste der WHO-Länder steht, aus denen keine Pflegefachkräfte angeworben werden sollen. In diesem Fall darf nur die BA die Fachkräfte anwerben oder vermitteln (Angenendt et al. 2014).
Darüber hinaus steigt der Anteil der Pflegefachkräfte an allen Zustimmungen, die an Drittstaatsangehörige erteilt werden, kontinuierlich. Wurden im Jahr 2011 noch 0,4 % aller Zustimmungen für Drittstaatsangehörige für die Berufe der Gesundheits- und Krankenpflege erteilt, waren es im Jahr 2014 bereits 2,7 %. Eine ähnliche Tendenz ist für Berufe der Altenpflege zu verzeichnen, wenn auch auf niedrigerem Niveau (0,2 % aller Zustimmungen im Jahr 2011 und 1,5 % im Jahr 2014) (Sonderauswertung der BA).
Bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen unterliegen die Anträge von Drittstaatsangehörigen immer einer Einzelfallprüfung. Dabei soll festgestellt werden, ob die Ausbildungsinhalte der deutschen Fachkraftausbildung entsprechen. Kann aufgrund von Abweichungen keine volle Gleichwertigkeit festgestellt werden, erfolgt die Auflage einer Ausgleichsmaßnahme, die aus einem Anpassungslehrgang oder einer Kenntnisprüfung besteht. Die Anerkennungsstatistik zeigt, dass die meisten Anerkennungsanträge immer noch von EU-Bürgern gestellt werden, dass der Anteil der Drittstaatsangehörigen aber kontinuierlich wächst, was auf eine zunehmende Globalisierung des Pflegearbeitsmarktes verweist. Machten die Anträge von Drittstaatsangehörigen im Jahr 2012 noch 30,7 % aller Anträge aus, waren es im Jahr 2013 schon 32,3 %, 2014 35,8 %, 2015 43,9 %, 2016 56,3 % und 2017 68,9 % (Sonderauswertung der Anerkennungsstatistik).
Anders als bei den EU-Bürgern müssen die Drittstaatsangehörigen die Ausgleichsmaßnahmen innerhalb von 18 Monaten abschließen und das erforderliche Sprachniveau erreichen, um weiterhin in Deutschland bleiben zu können.
Auch wenn die Fachkräftebedarfe durch die Pflegefachkräfte aus dem Ausland keineswegs abgedeckt werden, liefert die Datenanalyse wertvolle Anhaltspunkte dafür, dass Deutschland als Zielland der globalen Arbeitskräftemigration stark an Bedeutung gewonnen hat. Wie die Migrationsprozesse ausgestaltet sind und welche Rolle die Arbeitsmarktintermediäre darin spielen, wird im nachfolgenden Kapitel erläutert.
Deutschland hat im Zuge einer kontinuierlichen Veränderung der Migrationskontrolle (vgl. hierzu allgemein Hess und Kasparek 2010, Heimeshoff et al. 2014 und Hess et al. 2017) den regulatorischen Rahmen für Zuwanderung vor allem seit 2005 schrittweise an die Arbeitskräftebedarfe der Wirtschaft angepasst und dabei auch für die „Engpassberufe“ der Gesundheits-. Kranken- und Altenpflege Erleichterungen eingeführt. Gerade am Beispiel der Pflegefachkräfte lässt sich nachweisen, dass sich die Rolle des Staates aber nicht nur auf die Schaffung eines regulatorischen Rahmens beschränkt, sondern auch gezielte Maßnahmen zur Vorbereitung und Unterstützung konkreter Anwerbungsinitiativen beinhaltet. Solche staatlich gesteuerten Anwerbeinitiativen sollten Deutschland als Zielland auf globalisierten Pflegearbeitsmärkten etablieren. Darüber hinaus sollen den Betrieben Wege für ihre Fachkräftesicherung über Anwerbung aufgezeigt und eröffnet werden.
Eine der ersten Bundesinitiativen für die Unterstützung der Anwerbung von Fachkräften stellte MobiPro-EU dar (Bundesagentur für Arbeit 2013). Für das Programm qualifizierten sich Jugendliche im Alter von 18 bis 35 Jahren, die in einem EU-Mitgliedsstaat arbeitslos gemeldet waren und in Deutschland eine qualifizierte Beschäftigung in einem Mangelberuf aufnehmen wollten.
Das Programm stand sowohl staatlichen als auch privatwirtschaftlichen Projektträgern offen und in seinem Rahmen wurden die Kosten für Sprachkurse, Umzüge und Anerkennungsverfahren in reglementierten Engpassberufen für Teilnehmer bzw. Projektträger übernommen. Verhalf das Programm im Jahr 2013 282 Pflegefachkräften zu einer Tätigkeit in Deutschland, waren es im Jahr 2014 bereits 436 Pflegefachkräfte (Auskunft der ZAV Presse stelle am 30. April 2015).
Für die Anwerbung von Pflegefachkräften aus den Drittstaaten hat die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Jahr 2012 das Programm TripleWin ins Leben gerufen, das sich ausschließlich auf Herkunftsländer konzentriert, mit denen Deutschland ein bilaterales Anwerbeabkommen hat (z. B. Philippinen, Bosnien-Herzegowina, Serbien). Anwerbung von Fachkräften für den deutschen Arbeitsmarkt wird so mit Entwicklungspolitik verknüpft. Weitere bundesweite Initiativen werben Pflegefachkräfte aus China für stationäre Altenpflegeeinrichtungen an (Arbeitgeberverband Pflege in Kooperation mit der ZAV, seit 2013) oder bilden bereits qualifizierte Pflegefachkräfte aus Vietnam nach deutschen Ausbildungsstandards zum examinierten Altenpfleger/zur examinierten Altenpflegerin aus (BMWi zusammen mit der GIZ, seit 2013).
In all diesen exemplarisch beschriebenen Initiativen und Pilotprojekten staatlicher Akteure sind die Zahlen der Pflegefachkräfte, die für den deutschen Pflegearbeitsmarkt gewonnen wurden, klein im Vergleich zu den Arbeitskräftebedarfen. Die wesentliche Leistung der staatlichen Programme bestand aber darin, in der Anfangsphase der Anwerbung die Platzierung Deutschlands als ein Zielland für Pflegefachkräfte vorzubereiten. Für die Anwerbungsinitiativen wurden Länder ausgesucht, in denen die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen bzw. unter Pflegefachkräften hoch war (z. B. Griechenland oder Spanien, die besonders schwer von der sozioökonomischen Krise betroffen waren) oder die schon eine lange Geschichte der Pflegefachkräftemigration hatten (z. B. die Philippinen).
Bei der Erschließung der wahrgenommenen oder vermuteten Arbeitskräfteangebote im Ausland besteht die Hauptleistung der staatlichen Stellen in den Anwerbungsinitiativen darin, dass sie:
- die Fachkräftebedarfe in Deutschland mit den Fachkräfteangeboten im EU-Ausland entlang des Grundsatzes der EU-Arbeitskräftemobilität zusammenbringen (z. B. organisiert die ZAV gemeinsam mit EURES Jobmessen im EU-Ausland),
- die formalen und organisatorischen Aspekte im Anwerbungsprozess aus den Drittstaaten, die bei den Arbeitgebern oft als große Hürden gelten, systematisch aufarbeiten und verschiedenen Akteuren zugänglich machen (z. B. Checklisten für die Anwerbung, sprachliche und fachliche Vorbereitung im Herkunftsland, das Beantragen der Aufenthaltserlaubnis und der Arbeitsmarktzulassung in Deutschland, vgl. Peters et al. 2016),
- in den Projekten Plattformen schaffen, auf denen einrichtungsübergreifende Absprachen zwischen Einrichtungen getroffen werden.
Hatten in den 1960er und 1970er Jahren die Abkommen zur Anwerbung von Bergarbeitern und Krankenschwestern aus der Republik Korea noch zum Ziel, das Entstehen von privatwirtschaftlichem Gewerbe (z. B. das Anbieten von Vermittlungsleistungen) im Anwerbungsprozess zu verhindern (Hartmann 2016: 129), sind die gegenwärtigen Initiativen dadurch gekennzeichnet, dass privatwirtschaftliche Akteure gezielt einbezogen werden. Für die Arrangements, die den Anwerbungsprozess gestalten und so stabilisieren sollen, dass Pflegefachkräfte sich über mehrere Monate hinweg auf den Einsatz in Deutschland vorbereiten, werden transnationale Allianzen aufgebaut bzw. bereits bestehende Netzwerke genutzt (vgl. Coe et al. 2007, Faulconbridge 2008, Sporton 2013).
Trotz der langfristigen Perspektive, Anwerbung von Pflegefachkräften als eine Fachkräftesicherungsstrategie zu etablieren, war die Beteiligung durch den Staat – ähnlich wie in den anderen Pilotprojekten – nicht auf Dauer eingeplant. Das Ziel der meisten Initiativen war somit nicht die langfristige und groß angelegte Verstetigung der staatlichen Anstrengungen in der Fachkräftesicherung, sondern die eigenständige Sicherstellung von Fachkräftebedarfen durch Marktakteure.
Anwerbung, Zuwanderung und Vermittlung von Pflegefachkräften nach Deutschland erfolgen zunehmend marktförmig. Diese Vermarktlichung wird von staatlichen Regulierungen gerahmt und von staatlichen (Pilot-)Initiativen angestoßen, um dann sowohl von den Pflegeeinrichtungen als auch den Arbeitsmarktintermediären fortgeführt und intensiviert werden zu können. Die Pflegeeinrichtungen sehen darin die Möglichkeit, die eigenen Fachkräftebedarfe zu decken, die Arbeitsmarkintermediäre haben angeregt durch die Prognosen zur zukünftigen Entwicklung des Fachkräftemangels in der Pflege – das Ziel, aus der Vermittlung von Pflegefachkräften aus dem Ausland ein profitables Geschäftsfeld zu entwickeln und langfristig zu bedienen.
Vermarktlichung kann als Prozess der “designing, implementing and reproducing specific socio-technical arrangements that perform a calculated and monetized exchange of goods and services” verstanden werden (Berndt 2015: 4 f.). Im Bereich der Vermarktlichung der Arbeitsvermittlung von Pflegefachkräften wurden solche Anwerbungsarrangements, bestehend aus dem regulativen Rahmen, administrativen Zuständigkeiten und Netzwerken von verschiedenen Akteuren in den staatlichen Initiativen beispielhaft erprobt. An den hier gesammelten Erfahrungen konnte sich anschließend ein breiterer Kreis privatwirtschaftlicher Akteure orientieren. Hierzu zählen sowohl Einrichtungen der Pflege – Krankenhäuser, Altenpflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste – als auch vor allem private Arbeitsmarktintermediäre, zu denen Zeitarbeits- und Arbeitsvermittlungsunternehmen zählen.
Diese entdeckten um 2012 die Anwerbung von Pflegefachkräften aus dem Ausland als ein neues und zukunftsträchtiges Geschäftsfeld und bauten ihr Dienstleistungsangebot dementsprechend aus. Dies wurde dadurch befördert, dass die meisten Arbeitgeber ihre eigenen Anwerbungsaktivitäten nach den ersten Versuchen aufgaben und die Rekrutierung an privatwirtschaftliche oder quasi-privatwirtschaftliche (z. B. die GIZ) Akteure übertrugen. Daneben gab es Fälle, in denen Pflegeeinrichtungen aus der Anwerbung von Fachkräften ein eigenes Geschäftsfeld entwickelten und sich die Rollen des Leistungserbringers und des Arbeitsmarktintermediärs vermischten.
Geographisch beschränken sich die Vermittlungsaktivitäten der meisten Arbeitsmarktintermediäre nach eigenen Angaben auf die Mitgliedsstaaten der EU, deren Bürger von der automatischen Anerkennung ihrer Pflegeausbildung und der Freizügigkeit profitieren können. Auch sind bürokratische Hürden geringer und damit die Vermittlungsaufgaben weniger komplex.
Wie Benner (2003: 622) aufzeigt, etablieren sich Arbeitsmarktintermediäre auf regionalen Arbeitsmärkten als Akteure, weil sie für die Arbeitgeber die Transaktionskosten der Fachkräfteanwerbung im Ausland reduzieren, die im Anwerbungsprozess auftretenden Risiken managen und Netzwerke zur Unterstützung der Anwerbungsaktivitäten aufbauen. Im Anschluss an diese Erkenntnis kann auch für den deutschen Pflegearbeitsmarkt konstatiert werden, dass Arbeitsmarktintermediäre für die kontinuierliche Anpassung von regionalen Arbeitsmärkten an die sich verändernden Rahmenbedingungen sorgen.
Denn wie dieses Projekt zeigt, sind im Anwerbungsprozess die Transaktionskosten, die sich aus geringer Transparenz der Rahmenbedingungen ergeben, erheblich – sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Pflegefachkräfte. Da die Arbeitsmarktintermediäre hauptsächlich im Auftrag der Arbeitgeber tätig werden, beinhaltet ihr Beitrag zur Reduktion von Transaktionskosten z. B. die Auswahl von geeigneten Arbeitskräften, die Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Qualifikationen, das Vermitteln von Zusatzkompetenzen (z. B. Sprachkompetenz) und das Organisieren des Migrationsprozesses.
Wie Coe et al. (2007), Faulconbridge (2008) und Beaverstock et al. (2010) dargelegt haben, werden die meisten Anwerbearrangements durch Netzwerke verschiedener Akteure stabilisiert. Es sind in den staatlichen Anwerbungsinitiativen vor allem Netzwerke relevant, die staatliche Akteure in Deutschland und ihre Counterparts im Herkunftsland einschließen. Dagegen sind Netzwerke, die in privatwirtschaftlichen Anwerbungsmodellen entstehen, viel heterogener zusammengesetzt.
Besonders im Herkunftsland, in dem die Aktivierung, Selektion und erste Vorbereitung der Pflegefachkräfte stattfindet, werden Akteure eingebunden, deren primäre Rolle nicht im engeren Feld der Arbeitskräftevermittlung liegt:
- Universitäten im Herkunftsland werden dafür gewonnen, die fachliche Vorbereitung der Pflegefachkräfte bereits mit Blick auf spätere Migration zu gestalten oder Personen zu identifizieren, die bereit wären nach Deutschland zu migrieren. So hat beispielsweise meineagentur24 mit dem Bildungsministerium und dem Minister Kabinett in Ägypten mehrere Sitzungen diesbezüglich vorgenommen. Die Bereitschaft der ägyptischen Universitäten ist sehr stark gemeinsam mit unserem Unternehmen den deutschen Lehrplan in der Pflege in den ägyptischen Lehrplan zu integrieren.
- Unsere Sprachschulen im Herkunftsland (Ägypten, Tunesien, Marokko, Indien, Pakistan, Zambia, ..)wirken an Anwerbungsaktivitäten mit, indem sie an der Auswahl der Pflegefachkräfte oder am Vertragsabschluss beteiligt sind. Die Lehrer treten außerdem als „culture brokers“ (Bludau 2015: 96 f., Moroşanu 2016: 359 ff.) auf, indem sie den Pflegefachkräften während der Sprachkurse Empfehlungen geben, wie sie sich in beruflichen Zusammenhängen und in Alltagssituationen in Deutschland verhalten sollten. Gleichzeitig übernehmen sie die Funktion, im Auftrag der Arbeitsmarktintermediäre den Lernerfolg Leistungsfähigkeit in Abhängigkeit von der persönlichen Situation der Kursteilnehmer zu kontrollieren. Diese Strategie wird insbesondere von meineagentur24 eingesetzt, die selbst vor Ort ist und eine besonders enge Vertrauensbeziehung zu den Pflegefachkräften aufbauen kann.
- Zukünftige Kollegen der Pflegefachkräfte, die einen Migrationshintergrund aus demselben Land haben, werden damit beauftragt, als „Kulturbotschafter“ oder aber als „Professionsbotschafter“ für das Leben und Arbeiten in Deutschland aufzutreten, an der Selektion und Vorbereitung der Pflegefachkräfte mitzuwirken oder ihnen beim Einrichten nach der Ankunft behilflich zu sein.
- Bildungsanbieter in Deutschland wirken als Experten für Pflegeausbildungen oder Anbieter von Anpassungslehrgängen bzw. Nachqualifizierungen in Anwerbungsarrangements mit, die eine originäre (Zweit)Ausbildung von Pflegefachkräften nach deutschen Standards vorsehen.
- Wir sind ein Betreuungsteam für die ausländischen Pflegefachkräfte während der Anpassungsmaßnahme und nach Erhalt der Berufserlaubnis. Um kulturelle Aspekte, Sitten und Gebräuche nicht nur darzustellen, sondern darüber hinaus den ausländischen Pflegefachkräften die Möglichkeit zu geben diese selbst zu erleben, sorgen wir dafür, dass diese an verschiedenen Veranstaltungen, beispielsweise Hochzeiten, Polterabenden, Beerdigungen, Trauerfeiern, Taufen, Geburtstagen, Jugendweihen sowie Schulanfängen, teilnehmen können.
Im Kontext der Globalisierung von Arbeitsmärkten und der damit einhergehenden Vermarktlichung der Arbeitsvermittlung konnten sich private Arbeitsmarktintermediäre als zentrale Akteure in Anwerbungsarrangements platzieren. Dadurch, dass sie über einen längeren Zeitraum die Vorbereitung der Pflegefachkräfte für das Arbeiten in Deutschland gestalten, wirken ihre Bindungsstrategien über den engeren Anwerbungsprozess hinaus. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf Erfolg oder Scheitern der späteren betrieblichen Integration und prägt damit Zuwanderung als Strategie der Fachkräftesicherung grundsätzlich, wie der nächste Abschnitt zeigen wird.
Wie bereits angedeutet worden ist, wird der Prozess der betrieblichen Integration durch die marktförmig organisierten Arbeitskräftevermittlungsprozesse gerahmt. Dieses Kapitel wendet sich deshalb der genaueren Analyse dieses Prozesses zu und zeigt auf, welche Auswirkungen auf das betriebliche Geschehen damit einhergehen. Für die Einordnung dieser Prozesse sind insbesondere Theorieansätze hilfreich, die sich mit Vermarktlichungs- und Subjektivierungsprozessen auseinandersetzen.
Callon/Muniesa (2005: 1232 ff.) und Çalışkan/Callon (2010: 5) zeigen auf, wie Vermarktlichung als „Schaffung eines Marktes“ (hier steht das Marktgeschehen für die Vermittlung von Pflegefachkräften) die erfolgreiche Implementierung ganz spezifischer Rahmungsprozesse voraussetzt. Als eines der wesentlichen Elemente dieser Rahmung bezeichnen sie die Objektivierung: Diese macht Güter erst vergleichbar und handelbar und damit zu einem geeigneten Objekt für Markttransaktionen. Übertragen auf das „Gut Pflegefachkraft“ und die marktförmige Organisation der Anwerbung und Vermittlung von Pflegefachkräften aus dem Ausland können alle Maßnahmen, die Pflegefachkräfte auf den späteren Arbeitsmarkt Deutschland vorbereitet, als Objektivierung aufgefasst werden, weil erst sie die Fachkräfte auf globalisierten Arbeitsmärkten „handelbar“ werden lassen.
Prozesse der Objektivierung zeigen sich auf globalisierten Arbeitsmärkten darin, dass ausländische Pflegefachkräfte bereits im Herkunftsland durch ein Set unterschiedlicher Maßnahmen und entlang der Vorgaben des rechtlichen Rahmens des Ziellandes für den Zugang zu den staatlichen reglementierten Pflegeberufen vorbereitet werden. In den seltensten Fällen werden dabei bereits die konkreten pflegespezifischen Qualifikationen der Pflegefachkräfte angepasst. Primär konzentrieren sich die Arbeitsmarktintermediäre auf die Sprachkompetenzen, da erst diese die Zulassung als Pflegefachkraft in Deutschland ermöglichen. Vor allem bei den Pflegefachkräften aus EU-Staaten erfolgt die Anerkennung ihres Pflegeabschlusses automatisch. Somit entscheiden letztendlich das erreichte Niveau der Deutschkenntnisse sowie die Zeit, die für deren Aneignung nötig ist, über Marktwert der Fachkräfte. Die Interviews mit den Arbeitsmarktintermediären zeigen, dass die zukünftigen Arbeitgeber den Stellenwert der Sprachkenntnisse dagegen durchaus unterschiedlich bewerten:
Insofern kommt den Deutschkenntnissen im Spannungsfeld zwischen der vermarktlichten Arbeitskräftevermittlung und der betrieblichen Integration eine ambivalente Rolle zu. Einerseits stellen sie im Anwerbungsprozess ein objektives Kriterium dar, entlang dessen über die Berufszulassung von angeworbenen Pflegefachkräften entschieden wird – somit prägt der Spracherwerb entschieden den Anwerbungs- und Vermittlungsprozess. Andererseits zeigen die empirischen Erhebungen (vgl. die Beiträge von Kontos et al. und Rand et al. in diesem Band), dass im Arbeitsprozess die formalen Kriterien für die Beurteilung der Sprachkenntnisse ihre Wirkung verlieren könnten: Seitens der Vorgesetzten und Kollegen wird hervorgehoben, dass die Deutschkenntnisse der neu migrierten Pflegefachkräfte zunächst nicht ausreichen, um anspruchsvollere Aufgaben wahrzunehmen. Im Hinblick auf die Rahmung des betrieblichen Geschehens durch Prozesse der Objektivierung der Pflegefachkräfte im Sinne einer Marktfähigmachung und Vorbereitung auf den späteren Beruf erweist sich der marktlich organisierte Vermittlungsprozess als
entscheidend für Erfolg oder Misserfolg betrieblicher Integration.
Darüber hinaus schließt Objektivierung das Lösen der Pflegefachkräfte aus ihren sozialen Beziehungen im Herkunftsland ein (vgl. Çalışkan/Callon 2010: 5 f.). Dies hat zum Ziel, dass sich die Pflegefachkräfte auf den Vorbereitungsprozess fokussieren.
Auch bei Pflegefachkräften, die selbst noch keine Familie haben, hat das Trennen vom direkten Einfluss ihrer Herkunftsfamilie (z. B. durch das Verlegen von Sprachkursen in eine weit entfernte Stadt) die Funktion, sie an den Vorbereitungsprozess zu binden. Auf diesem Weg soll bei den angeworbenen Pflegefachkräften eine Loyalität gegenüber dem Arbeitsmarktintermediär und dem zukünftigen Arbeitgeber entstehen, die zunächst die Kalkulierbarkeit des Vermittlungsprozesses erhöht. Diese soll zusätzlich durch vertraglich festgehaltene Verpflichtungen unterstützt werden.